Irrtum über Feuerbach
Der Irrtum über Feuerbach: Feuerbachs Christologie
(von Eick Sternhagen)
Feuerbach gilt allgemein als großer Motivator der Aufklärung, als Atheist, der den Glauben des Menschen an Gott als Projektion menschlicher Wünsche und Bedürfnisse darstellt. Wesentlicher Bezug für den Unterricht in der Sekundarstufe II sind Auszüge aus seinem Werk „Über das Wesen des Christentums“. Feuerbach wird jedoch falsch aufgefasst – zur Gänze. So lernen Schüler/innen das Falsche über Feuerbach. Das Falsche wird als das Richtige angesehen und somit das Falsche als das Richtige geprüft.
Feuerbach kann nur unter Berücksichtigung seiner Schriften insgesamt richtig verstanden werden. Nach eigener Aussage gelangt er zwar von Gott über die Vernunft zum Humanismus, jedoch sind christologische Vorstellungen in seinem metaphysischen Geist fest verankert. Nicht zuletzt als Hegelianer widmet er sich dem Rationalismus. Er verabschiedet sich vom Kreationismus, also dem buchstäblichen Bibelverständnis. Er lehnt diesen als Bibelkundiger genauso ab wie seinerzeit Darwin als Theologe, ohne Gott zu verleugnen. Sein Gottesverständnis ist geblieben.
Seiner Konzentration auf die Immanenz Jesu Christi, in dem Gott für uns leidet, setzt er die von ihm kritisch reflektierte menschliche Entfremdung durch die Projektion auf den Gott im Jenseits entgegen. Von Feuerbach wird das Weltsein Christi vor Augen geführt und der „dreieinige Gott“ in die Wirklichkeit dieser Welt gerückt, dies nicht als von Feuerbach dreieinig geglaubter Gott, vielmehr als Gott an sich und Jesus nicht als geglaubter Sohn Gottes, vielmehr als historische Immanenz und Inkarnation Gottes, der wahren Botschaft, die sich als Symbol hinter der kreationistischen Buchstäblichkeit verbirgt. Feuerbach versteht die Worte als Zeichen. Erst als solche erhalten sie in ihrer Sinnlichkeit Bedeutung. An die jungfräuliche Geburt Jesu als Sohn Gottes glaubt Feuerbach nicht. (Vgl. Udo Kern, Der andere Feuerbach, S. 143 ff.)
Durch seine Kritik am Wesen des Christentums übt er keine Kritik an der Religiosität an sich, vielmehr an der christlichen Bigotterie seiner Zeit, in der die Frommen kreationistisch ihre Vorstellungen auf das, was sie als Gott auffassten, (in die Ferne) projizierten und in der diese Bigotterie sich die Industriellen und der Klerus zunutze machten, um ihre Interessen im Christentum verankert zu wissen.
Marx’ Freude über den „Atheismus“ des Ludwig Feuerbach ist verbunden mit der Kritik an der fehlenden Gesellschaftskritik Feuerbachs. Diese hatte Feuerbach jedoch unausgesprochen längst geleistet. Doch Feuerbachs Gottesverständnis ist kein atheistisches, obwohl er zwischen wahren und nicht wahren Atheisten unterscheidet, dies aber nur im Kontext der Ablehnung des christlich bigotten kreationistischen Gottesbildes seiner Zeit. Tatsächlich war Feuerbach aber nicht wahrer A-theist an sich, sondern als Naturalist und Christologe Anti-Theist: Gott ist für ihn nicht theistisch, also von der Sinnlichkeit aus gesehen das Übersinnliche, sondern das Sinnliche an sich und somit konkret, sinnlich bei uns und in uns. (Vgl. dazu Feuerbach, Sämtliche Werke II, S. 273).
Gott ist kein Gott als Prädikat, also kein Gott der Vernunft oder der menschlichen Schöpfung (darf also keine Projektion sein), wie in der Götterwelt der Antike. (Vgl. Feuerbach, Sämtliche Werke I, S. 286 f.). Gott ist ontologisch Substrat des Seins. In diesem Bewusstsein fordert Feuerbach die Aufhebung der Abstraktion und somit der menschlichen Projektion, vielmehr fordert er den Weg von der Entfremdung hin zur Anthropologie, der Humanisierung. Gott ist in uns und der Welt angelegt, ist da und daher immanent. Diese Immanenz steht der menschlichen Entfremdung, resultierend aus der Projektion menschlicher Wünsche in die Ferne, entgegen. In ihr, der Immanenz Gottes, ist die Humanisierung, die Zuwendung der Menschen zueinander in dieser Welt - Welt zugewandt -, angelegt. Dadurch ist die Menschheit für sich selbst verantwortlich.
Gott kann zwangsläufig nach Feuerbach nicht Nicht sein, da Nichts aufgrund seiner Bestimmung (per definitionem) nicht sein kann. Gott kann nicht Nicht sein, da Gott dann Nichts wäre. Nichts gibt es aber nicht. Nichts könne Feuerbach zufolge nicht gedacht werden, weil „non entis sunt nulla praedicata. Non entis nulla est scientia“ (Feuerbach, Gesammelte Werke 9, 1967 ff., S. 54). Diese Vorstellung geht vermutlich auf die aristotelische Metaphysik zurück. Aristoteles begründete die Vorstellung vom göttlichen „Nous“ (Sinn) damit, dass Nichts nicht sein kann, vielmehr sei Nichts Etwas, sonst wäre der Begriff bzw. die Vorstellung von Nichts nicht. Da Feuerbach eindeutig so denkt, kann er kein A-theist sein.
Er, Feuerbach, hat sich also von der frommen Tradition der Theologie entwickelt hin zu einer Metaphysik der Immanenz Gottes. Der transzendentale Charakter ist Ansatz Feuerbachs Kritik, die Projektion auf das gedachte Höchste, auf das der Superlativ menschlicher Erfahrungswerte projiziert wird und damit letztlich die eschatologische Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, die Feuerbach zufolge – in seiner Kritik an der Unsterblichkeit der Seele – wiederum eine Projektion egozentrierten menschlichen Wunschdenkens ist. Gerade auch aus seinem Spätwerk, der Theogonie, geht dieser Aspekt hervor ebenso wie die Hervorhebung seiner Philosophie als neue Religion: „...Sie (sc. die Philosophie) tritt an die Stelle der Religion, sie hat das Wesen der Religion in sich, sie ist in W ahrheit selbst Religion (Zitat aus/bei: https://ludwig- feuerbach.de/index.html?/theogonie.htm).“
Sein Vorwurf gegenüber Hegel besteht aus zwei Komponenten: Zum einen wirft er Hegel Unchristlichkeit vor, wie aus dem ersten Band seiner gesammelten Werke mit der Kapitel- Überschrift ‘Über Philosophie und Christentum in Beziehung auf den der Hegelschen Philosophie gemachten Vorwurf der Unchristlichkeit’ (1839), hervorgeht. (Feuerbach, Sämtliche Werke I, 1846-66, S. 42-107.) Feuerbach wirft Hegel Hegels Auffassung vor, das Gottesverhältnis des Menschen resultiere aus Gott, nicht weil Feuerbach Gott ablehnt, sondern, weil Hegel durch die ausbleibende Differenzierung von Immanenz und Transzendenz das Verhältnis Mensch-Gott - Gott-Mensch pauschalisiert. Daher fehle Hegel auch (2. Komponente) das Verständnis für die Sinnlichkeit der Christologie, die sich nicht in Worte fassen lasse und die in dem Bedürfnis des Menschen nach Religion wurzelt, und der - mit Bezug auf die Christologie - Werdung des logos in sarx (Fleisch). Durch Jesus werde Gott konkret.
Sich gegen die Abstrahierung Gottes wendend schreibt Feuerbach: „Gott ... ist kein Ding, das du mit dem Fernrohr am Himmel der Astronomie oder mit dem Suchglas in einem botanischen Garten ... finden kannst, du findest ihn nur im Glauben.“ (Feuerbach, Sämtliche Werke I, S. 480 ff.). Der Mensch jedoch in seiner (Feuerbachs) Zeit bleibe nicht bei der Wirklichkeit Gottes, seiner Inkarnation in Christus, sondern hypostasiert seine Wunschvorstellungen auf einen fernen Gott. (Vgl. Feuerbach, Das Wesen des Christentums, S. 238). Jesus, so Feuerbach, sei „in der Tat eine Inkarnation Gottes“ (Feuerbach, Das Wesen des Christentums, S. 109). Aus dem außersinnlichen Wesen (Gott), dem logos, wird ein sinnliches Wesen (Gott), sarx (Fleisch). (Vgl. Feuerbach, Sämtliche Werke I, S. 255, S. 284, S. 287).
Abgeschreckt zwar durch die rationalistische Exegese des Gottlieb Paulus (z. B. Wunder- Theologie; Rationalität der Wunder) und hinsichtlich seiner Auffassung, viele christliche Dogmen seien eindimensionale theologische Verfestigungen, hat Feuerbach nicht gesehen, dass viele Dogmen – wenn auch theoretisch – dem wirklichen Glauben Ausdruck verleihen wollten. Dennoch ist Feuerbachs Religion integrales Korrektiv christlicher Theologie. Auch wenn Feuerbachs Religion die Christologie nicht ersetzen kann, so muss dennoch seine Verteufelung überwunden und der positive Impakt für die christliche Theologie erkannt werden. (Vgl. Udo Kern, Der andere Feuerbach, S. 164 f.). Feuerbach war kein Atheist, sondern versuchte vielmehr in Würdigung der christlichen Religion, diese seiner Auffassung entsprechend zu erklären.
Allerdings kann Feuerbach nicht als DER Maßstab gelten. Ihn auf die Stufe eines Protagonisten der absoluten Wahrheit hinsichtlich des „richtigen“ Gottesverständnisses zu stellen, wäre genauso falsch wie das Ignorieren des Zeitgeistes seinerzeit, dem er kritisch begegnet. Feuerbach wandelte sich überdies vom frommen Kreationisten - seine frühen Jahre - zum Anti-Kreationisten, stellte aber nie die Immanenz Gottes und den Platz Jesu in dieser Welt infrage. Gerade deshalb kritisiert Feuerbach, der junge Anhänger des Rationalisten Hegel, Hegel, weil er diesem das richtige Verständnis von der „Sinnlichkeit“ abspricht. Dennoch muss ein transzendenter Gott gedacht werden dürfen – nicht zwangsläufig muss er Projektion sein, er kann, aber er ist auch in seiner Unendlichkeit gleichsam unvorstellbar.
Empfehlenswerte Lektüre: Udo Kern, Der andere Feuerbach, Sinnlichkeit, Konkretheit und Praxis als Qualität der „neuen Religion“ Ludwig Feuerbachs, Münster 1998.